piwik no script img

Verurteilte Kapitol-StürmerRechtsextreme „Proud Boys“ fordern Schadenersatz

Anfang 2021 stürmten „Proud Boys“ das Kapitol in Washington. Mehrere Frontmänner kamen dafür ins Gefängnis und wurden von Trump begnadigt. Nun wollen sie Geld.

Der Anführer der Proud Boys, Henry „Enrique“ Tarrio, wurde von Donald Trump begnadigt Foto: Allison Dinner/ap

Washington dpa | Sie wurden wegen der Stürmung des US-Kapitols zu Haftstrafen verurteilt und später von Präsident Donald Trump begnadigt – nun fordern fünf Frontmänner der rechtsradikalen Gruppe „Proud Boys“ 100 Millionen Dollar Schadenersatz von der Regierung. Die Unterzeichner der im Bundesstaat Florida eingereichten Klage machen US-Medien zufolge geltend, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte von den Strafverfolgern missachtet worden seien. Unter ihnen ist auch der bekannteste Drahtzieher des Sturms auf den Parlamentssitz in Washington am 6. Januar 2021, Henry „Enrique“ Tarrio.

Die Kläger sehen sich demnach als Opfer „politischer Verfolgung“. Sie werfen der Bundespolizei FBI und dem Justizministerium vor, diese hätten „das Rechtssystem und die Verfassung der Vereinigten Staaten systematisch und auf unerhörte Weise missbraucht, um Verbündete von Präsident Trump zu bestrafen und zu unterdrücken“ – so steht es in der Klageschrift, aus der mehrere Medien zitierten. Beweise seien manipuliert, Zeugen eingeschüchtert und Anwälte ausgespäht worden, um „unrechtmäßige Haftstrafen“ zu erwirken, behaupten die 2023 zu 10 bis 22 Jahren Gefängnis verurteilten Straftäter.

Vor viereinhalb Jahren hatten Anhänger des damals noch amtierenden Präsidenten Trump den Parlamentssitz in Washington gewaltsam gestürmt. Dort war der Kongress an jenem Tag zusammengekommen, um den Sieg des Demokraten Joe Biden bei der Präsidentenwahl 2020 gegen Trump formal zu bestätigen. Trump hatte seine Unterstützer zuvor über Wochen hinweg und dann nochmals in einer Rede mit unbelegten Behauptungen angestachelt, ihm sei der Wahlsieg durch Betrug gestohlen worden. Infolge der Krawalle kamen fünf Menschen ums Leben.

Manche der Randalierer wurden für kleinere Straftatbestände angeklagt – etwa dafür, dass sie unrechtmäßig in das Kapitol eindrangen, sich Polizisten widersetzten, Scheiben einschlugen, Gegenstände im Gebäude zerstörten oder stahlen. Andere wurden wegen schwerer Straftaten verurteilt, etwa weil sie mit Stöcken, Metallstangen oder Fäusten Polizisten niederprügelten oder von langer Hand die Attacke zur Sabotage des Machtwechsels geplant hatten.

„Trump hat mir buchstäblich mein Leben zurückgegeben“

Rädelsführer Tarrio war zwar selbst nicht bei der Randale dabei, orchestrierte aber aus dem Hintergrund seine Leute, die teils in voller Kampfausrüstung am Kapitol erschienen und die Attacke lange vorbereitet hatten. Tarrio wurde unter anderem wegen „aufrührerischer Verschwörung“ zu 22 Jahren Haft verurteilt. Die höchste Strafe aller Beteiligten – und ein Straftatbestand, der in der Justizgeschichte der USA zuvor nur selten zum Einsatz gekommen war.

Im Januar dieses Jahres begnadigte Trump dann direkt zu Beginn seiner zweiten Amtszeit praktisch sämtliche Beteiligte des Kapitol-Sturms. Zahlreiche Rädelsführer kamen nur Stunden nach seiner Vereidigung frei – und äußerten sich mit Genugtuung. „Trump hat mir buchstäblich mein Leben zurückgegeben“, sagte Tarrio.

Ein US-Präsident hat zwar qua Verfassung die Befugnis, die Strafen von nach Bundesrecht verurteilten Tätern zu verkürzen oder sie ganz zu begnadigen – auch nachträglich, also nach dem Verbüßen einer Strafe. Dass Trump diese Befugnis aber nutzte, um Gewalttäter freizulassen, die Polizisten verletzt und – angeheizt durch ihn selbst – versucht haben, den friedlichen und demokratischen Machtwechsel in den USA zu stoppen, war ein beispielloser Vorgang.

„Ein Vergleich (zwischen den Klägern und der Regierung) würde suggerieren, dass die Gewalt am 6. Januar völlig gerechtfertigt war“, sagte Matthew Dallek, Professor für politische Geschichte an der George Washington University, der „Washington Post“. „Das würde die Botschaft ins Land senden, dass diese in einem fairen Verfahren vor Gericht verurteilten 'Proud Boys fälschlich bestraft wurden und Opfer sind. Das stellt den gesamten Tag damals auf den Kopf.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • "Das stellt den gesamten Tag damals auf den Kopf.“



    Die Idee der Bannmeile:



    "Die Bannmeile ist ein Begriff aus dem Strafrecht und bezeichnet einen räumlichen Schutzbereich um bestimmte staatliche Einrichtungen oder Veranstaltungen. Innerhalb der Bannmeile gelten besondere Sicherheitsvorkehrungen, und das Betreten kann eingeschränkt oder verboten sein. Die Bannmeile soll die Unversehrtheit von Amtsträgern, Prominenten oder auch schutzwürdigen Personen gewährleisten und sie vor Übergriffen oder Störungen schützen. Verstöße gegen die Bannmeile können als Straftat geahndet werden."



    atuelles-urteil.de

    Zur Historie



    "In Deutschland geht die erste Bannmeile im politischen Sinn auf das Jahr 1920 zurück, als die Nationalversammlung nach dem Blutbad bei einer Arbeiterdemonstration vor dem Reichstag das Gesetz über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage erließ."



    sueddeutsche.de 2020

    Geschichte wiederholt sich, die Orte der schlagzeilenträchtigen Aktionen sind fast immer dieselben.



    "Am 13. Januar 1920 eskalierte eine Demonstration linksradikaler Gruppen vor dem Berliner Reichstag. Als die Wachen sich bedrängt fühlten, eröffneten sie mit schweren Infanteriewaffen.."



    welt.de

  • Ob Franz Kafka geahnt hat, dass die Wirklichkeit einige seiner Romane zu Ende schreiben wird?

    • @starsheep:

      Worum geht es bei dem Posting?

      • @Günter Picart:

        Kafka mal anders:



        "Gerhard Neumann, der Kafka als „den Begründer einer Mikrologie der Macht“ sieht, beginnt also bei den Wurzeln – und lässt vor allem den Autor selbst sprechen."



        (...)



        "Mal widmet er sich den Tagebüchern als Lebenswerk an sich, dann wiederum seziert er die Struktur von Kafkas „Proceß“ – dem Romanfragment über Macht und Ohnmacht schlechthin"



        (...)



        "Kafkas Blick richte sich, resümiert Neumann,



        auf die Beobachtung, dass es die Sprache selbst ist, ihre Performanz, die Macht verleiht und Macht erleiden lässt; die also den Protagonisten wahlweise zum Verurteilten macht oder zu freiem Handeln befähigt.“



        (...)



        "Der Prager Schriftsteller wusste also um seine Macht – wenn auch auf verzweifelte Art, wie sich in Kafkas letzter Tagebuchaufzeichnung zeigt:



        Der Trost wäre nur: Es geschieht, ob Du willst oder nicht. Und was Du willst, hilft nur unmerklich wenig. Mehr als Trost ist: Auch Du hast Waffen."



        www.deutschlandfun...der-nicht-100.html



        sinn-und-form.de



        "Die Gesellschaftskritik ist im »Verschollenen« deutlicher als sonst in Kafkas Werk. Daß Amerika für Karl ein Land ist, in dem man auf Mitleid nicht hoffen darf und wo nur die Glück..."

        • @Martin Rees:

          Super, danke!

        • @Martin Rees:

          Danke. Schule ist so lange her. Ich würde sicherlich Amerika, Prozess, Urteil und das Schloss arg durcheinander brinen.

  • Faschisten unter sich. Im Land der "unbegrenzten Freiheit" und manche faseln von "der ältesten Demokratie überhaupt..." Es war nie eine vollgültige Demokratie, von Anfang an waren und sind Indigene, POC und arme Menschen nie !! in den vollen Genuß der demokratischen Rechte gekommen. Und diese Farce um einen korrupten, hochgefährlichen Putschisten unterstreicht das nur noch einmal.

  • Meine Prognose: Sie werden die Kohle auch bekommen, dafür wird Trump schon sorgen.

  • Nur zwei kleine Korrekturen: Der Angriff auf das Kapitol fand im Januar 2021 (nicht 2001) statt und das ist ca. viereinhalb (nicht fünfeinhalb) Jahre her.

    • Moderation , Moderator
      @Caschmirr:

      Danke für den Hinweis, ist korrigiert.

  • Das wäre doch ein Thema für unseren Bundeskanzler Merz gewesen! Anstatt lächelnd dazusitzen und mal ein bisschen Ukrainelobyismus zu betreiben. Mein Gott, Politik und Trump´sche Übergrifflichkeit wird immer primitiver.



    Fatal ist, dass demokratische Kräfte nie diese Bereitschaft für für ein entschiedenes Eintreten für diese entwickelt haben, um einen Gegengewicht zu diesen staatlich legitimierten Machenschaften zu schaffen.



    Insofern, um zu unseren Bundeskanzler Merz zurückzukommen, ist es auch antidemokratisch, einen Antrittsbesuch beim Despoten zu machen, im Zollstreit zu kuschen anstatt mithilfe des Kapitals Trump von der Bildfläche zu fegen.

    • @Stefan Schmitt:

      "Insofern, um zu unseren Bundeskanzler Merz zurückzukommen, ist es auch antidemokratisch, einen Antrittsbesuch beim Despoten zu machen, im Zollstreit zu kuschen"



      Der deutsche Bundeskanzler hat primär einen Eid darauf geschworen, Schaden von Deutschland abzuwenden. Dass dazu gehöre, ausländische Staatsoberhäupter abzusetzen, müsste begründet werden. Inwiefern ein abweisendes Verhalten gegenüber unserer Schutzmacht (denn das sind die USA nach wie vor) Deutschland nützlich wäre, müsste man mir ebenfalls erklären.

    • @Stefan Schmitt:

      „…. anstatt mithilfe des Kapitals Trump von der Bildfläche zu fegen.“



      Es ist aber im wahren Leben auch alles so einfach, wenn man nur will, gelle?

      • @TerryX:

        Es geht um eine konzertierte europäische Strategie zum Regime-Change in den USA, nicht mehr und nicht weniger.

      • @TerryX:

        siehe China. Und was meinen Sie, was passiert, wenn plötzlich alle Länder gemeinsam diese Zölle sanktionieren? Was meinen Sie, wie lange wäre Trump noch im Amt?



        Sicher, es wäre einfach, wenn nicht nur nationale Egoismen beständen und Angst. Gelle?