Repression gegen Palästina-Solidarität: Davidsterne und rote Dreiecke
Nach einer Pro-Palästina-Kundgebung wurde die Aktivistin Iris Hefets am Freitag bereits zum fünften Mal zeitweise festgenommen – ohne triftigen Grund.

Die Beamten beharrten jedoch darauf, sie solle mit zu einem Polizeiwagen kommen, damit das Schild dort untersucht werden könne. Als sich Iris Hefets weigerte und anbot, die Polizisten könnten das Schild doch auch vor Ort fotografieren, zögerten die Beamten nicht lange. Zwei kräftige Männer griffen zu und schleiften die 60-jährige über den Platz bis zu ihrem Mannschaftswagen, der um die Ecke geparkt war. Dort wurde Hefets über eine halbe Stunde lang von zwei Dutzend Polizisten bewacht, während sie durchsucht wurde und man ihre Personalien aufnahm.
Die Linke Neukölln hatte am Freitagnachmittag zu einer Kundgebung „Für Frieden und ein Ende des Völkermords in Gaza“ aufgerufen. Rund 300 Menschen waren zu der Kundgebung gekommen. Über dem Platz wehten neben palästinensischen Fahnen auch Flaggen der Linkspartei und der Grünen.
Bei der Kundgebung sprachen unter anderem der linke Bundestagsabgeordnete Ferat Kocak sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden der Linken und der Grünen in Neuköllns Bezirksverordnetenversammlung, der Anwalt Ahmed Abed und die Sozialpädagogin Samira Tanana. Unterbrochen wurden ihre Reden von „Free Palestine“-, „Hoch die internationale Solidarität“- und anderen Rufen. Nach rund einer Stunde endete die Kundgebung ohne besondere Zwischenfälle.
Polizei wittert heimliche Sympathiebekundung mit Hamas
Die Polizei wurde erst am Ende aktiv, als die meisten Teilnehmer und die Redner schon gegangen waren. Auch eine junge Frau wurde vorübergehend festgehalten. Sie hatte eine Fahne gehalten, auf der eine schwarz-weiße Faust abgebildet war. Die Polizei prüfte, ob es sich dabei um die verbotene „Hirak-Faust“ handelte, die mit dem verbotenen Verein Samidoun in Verbindung gebracht wird. Sie ähnelte allerdings eher der „Black Power“-Faust, die bei den Black Lives Matter-Demos gezeigt wurde.
Auf dem Schild, das Iris Hefets bei der Kundgebung trug, standen die Worte „Jews against Genocide“, dazu ein roter Davidstern. Auf der Rückseite des Plakats stand „Another Jew for a free Palestine“, dazu ein Davidstern, der aus zwei Dreiecken in den Farben Rot und Grün bestand, auf weißem Grund in einem von Schwarz umgebenen Kreis, zusammen sind das die palästinensischen Nationalfarben.
Die Polizei wittert dahinter womöglich eine heimliche Sympathiebekundung mit der Hamas. Denn die Hamas hat in Videos rote Dreiecke benutzt, um Feinde und Angriffsziele zu markieren, weshalb die ehemalige Innenministerin Nancy Faeser diese geometrische Form in Rot im vergangenen November verboten hat. Ein rotes Dreieck kommt allerdings auch in der Nationalflagge Palästinas vor, die in Deutschland nicht verboten ist. Das Symbol ist also mehrdeutig.
Iris Hefets ist Schikanen gewöhnt. Sie engagiert sich seit Jahren im Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“, der sich mit Palästinenserinnen und Palästinensern solidarisiert, und war dessen Vorsitzende. Der Verein steht in der Kritik, weil er einen Boykott Israels fordert. Mehr als einmal wurde ihm das Konto gesperrt – zuletzt im vergangenen Jahr vor dem „Palästina-Kongress“, den der Verein mit organisierte und der von der Polizei mit Gewalt aufgelöst wurde. Denn seit dem 7. Oktober 2023 und Israels jüngstem Krieg in Gaza hat die Repression deutscher Behörden gegen propalästinensische Proteste nochmals deutlich zugenommen.
Zeichen der politischen Verfolgung
Iris Hefets wurde seitdem zum fünften Mal von der Polizei festgehalten. Das erste Mal wurde sie Ende 2023 verhaftet, als sie alleine auf der Straße stand und ein Schild in die Höhe hielt, auf dem in Handschrift geschrieben stand: „Als Jüdin und Israelin: Stoppt den Genozid in Gaza“. Beim zweiten Mal bekam sie für dieses frühere Schild sogar eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung, das Verfahren wurde aber eingestellt. Das dritte Mal wurde ihr ein anderes Schild abgenommen. Ihr aktuelles Schild konfiszierten Polizeibeamte im Dezember 2024 bei einer Kundgebung am Wittenbergplatz im westlichen Zentrum von Berlin.
Nach mehr als drei Monaten erhielt Hefets das Schild Anfang Mai zurück: Nachdem sie der Behörde deswegen geschrieben hatte, durfte sie es vom LKA abholen. Nun bekam sie deshalb wieder Probleme. Dabei hatte sogar einen amtlichen Nachweis vom LKA dabei, dass das Schild unbedenklich und die Anzeige eingestellt worden sei. „Keine Strafbarkeit: rotes Dreieck als Teil des Davidsterns“, steht wörtlich in dem Schreiben.
Den Vorwurf, bewusst Hamas-Assoziationen wecken zu wollen, weist Iris Hefets entschieden zurück. Auf ihren früheren Schildern sei gar kein Davidstern und daher auch kein Dreieck gewesen. Das rote Dreieck im mehrfarbigen Davidstern weise zudem, anders als die angebliche Hamas-Variante, mit der Spitze nach oben. Zudem sei das rote Dreieck kein exkusives Zeichen der Hamas, fügt sie hinzu: im Dritten Reich seien damit politisch Verfolgte markiert worden. Wenn überhaupt, dann habe sie darauf anspielen wollen.
Polizeigewalt bei Palästina-Kundgebungen
Unklar ist, warum die Polizei erst nach der Kundgebung eingriff. Wäre das Schild wirklich so gefährlich, hätte sie schon während der Veranstaltung zugreifen müssen. Iris Hefets wurde von der Polizei mitgenommen, festgehalten und durchsucht, sie nahmen ihre Personalien auf. Angemessen und verhältnismäßig wirkt das nicht, zumal sie und das Schild den Behörden ja bereits bekannt waren. Die Polizei äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Fragen der taz. „Ich werde als Jüdin politisch verfolgt“, sagt Hefets. „Sie wollen uns einschüchtern und verhindern, dass sich Juden mit Palästinensern solidarisieren“, glaubt sie.
Videos von unverhältnismäßiger Polizeigewalt gegen propalästinensische Demonstranten in Berlin machen schon seit Monaten in den Sozialen Medien die Runde und prägen weltweit das Bild der deutschen Hauptstadt. Zuletzt waren solche Szenen bei Kundgebungen zum „Nakba-Tag“ Mitte Mai zu sehen. Für politische Debatten sorgte aber viel mehr, dass dort ein Polizist verletzt worden sein soll. Im Oktober 2023 hat die Berliner Polizei eine BAO („Besondere Aufbauorganisation“) gegründet, die ausschließlich Straftaten im Zusammenhang mit den Nahost-Konflikt verfolgt. Nach kaum einem Jahr hatte die Dienststelle bereits über 5000 Anzeigen ausgestellt, berichtete im vergangenen September die Boulevardzeitung B.Z.. Wie viele davon solche Bagatellen sind, die wie schwere Straftaten behandelt werden, ist schwer zu sagen.
Ein Bundestagsabgeordneter übt Kritik
In seiner Rede bei der Kundgebung hatte Ferat Kocak das Vorgehen von Politik und Behörden kritisiert. „Menschen wollen für ihre ermordeten Kinder, Freunde, Familien hier protestieren können“, sagte er. Aber die Polizei gehe „brutal rein“. Kocak erwähnte in seiner Rede auch, dass sogar jüdische Israelis, „die mit uns gegen den Genozid in Gaza protestieren“, verhaftet würden. „Das ist doch Antisemitismus!“, rief er unter Applaus.
Später kehrte Kocak zum Rathaus Neukölln zurück, nachdem er von der Verhaftung gehört hatte. Auf X teilte er ein Foto des Plakats und der Festnahme von Iris Hefets und kritisierte die Polizei: „Das ist nichts anderes als politische Repression – gegen Menschen, die das Leid der Palästinenserinnen sichtbar machen“ schrieb er dazu. „Dass ausgerechnet in Deutschland wieder Jüdinnen festgenommen werden, zeigt auf erschreckende Weise: Dieses Land hat aus seiner Geschichte nichts gelernt.“
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