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Fakten im Journalismus„Die einen sagen so, die anderen so“

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Immer öfter zitieren Medien Expert*innen, um Fakten darzustellen – die dadurch wie Meinungen klingen. So können wir autoritäre Albträume nicht verhindern.

Das Mirko in die Gegend hängen und mal schauen, was passiert Foto: Thomas Imo/imago

J edes Bild, jeder Text, ja jeder Satz ist Teil des Kampfes um die Wahrnehmung der Wirklichkeit. „Sagen, was ist“ war schon immer ein etwas pathetischer und keineswegs widerspruchsfreier Selbstauftrag des Journalismus. So gut es eben geht, die empirisch nachprüfbare Realität abzubilden, ist aber keine schlechte Idee. So kann Journalismus mithelfen, eine allgemein anerkannte Diskussionsgrundlage über Welt und Wirklichkeit zu erschaffen.

Anhand derer ließe sich zum Beispiel zügig klären, ob jene Probleme, die so gern von Po­li­ti­ke­r*in­nen als die drängendsten dieser Zeit beschrieben werden, nur in deren Fantasie stattfinden oder tatsächlich die Existenz des Abend- und sonstiger Länder gefährden. Dann wäre eventuell deutlicher, dass nicht ein halluzinierter Migrationsnotstand, sondern die menschengemachte Klimakatastrophe die wichtigste Herausforderung unserer Generation ist.

Eine schon völlig automatisierte Distanzierung vom Faktischen selbst in unstrittigen Punkten

Doch unter dem missverstandenen Banner der Objektivität hat sich bei vielen Jour­na­lis­t*in­nen ein von nachlässiger Gleichgültigkeit geprägtes Berufsethos breitgemacht. Statt zu recherchieren, „was ist“, wird der Fakt durch Dritte bewertet und so zur Nachricht. Oder noch schlimmer: Die Behauptung frei erfundener Tatsachen ist Berichtsgegenstand. Diesen permanenten Großangriff auf die Gesamtwahrnehmung der Realität kann auch kein Fact-Checking abwehren. Das ist ohnehin inzwischen zur zeitraubenden Müllabfuhr unbelegter Propaganda geworden.

Unter diesen Bedingungen ist es nur arbeitsökonomisch, statt mit Recherche ein realitätsbasiertes Weltbild zu verteidigen, einfach das Mikrofon in die Landschaft zu halten: „Die einen sagen so, die anderen so.“ Diese distanzierte Objektivität illustriert die Abwesenheit einer eigenen Haltung, ist dabei aber selber eine – stilprägend ist sie noch dazu. Selbst in allerkleinsten, unstrittigen Punkten schleicht sich da eine schon völlig automatisierte Distanzierung vom Faktischen ein.

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Das schafft sogar die „Tagesschau“ in einem Beitrag von Samstag: „Eine von der New York Times zitierte Expertin sagte, es sei das erste Mal seit 60 Jahren, dass der Präsident sich ohne Einwilligung eines Gouverneurs der Nationalgarde eines Bundesstaats bemächtigt.“ Hier wird zur Darstellung einer historisch überprüfbaren Tatsache ein Zitat aus einem anderen Medium zitiert. Es ist seltsam, dass das Leitmedium des deutschen Nachrichtenjournalismus nicht im eigenen Archiv nachschaut, wann ein US-Präsident das letzte Mal so handelte.

Das mag wie eine lässliche Petitesse aussehen, ist aber Symptom eines größeren Problems und kann uns sogar im konkreten Fall auf die Füße fallen. Im nicht ganz unwahrscheinlichen Fall nämlich, wenn irgendeiner der Trump-Höflinge über die immer aufnahmebereiten Mikrofone verbreitet, dass mehrere Präsidenten in den vergangenen Jahrzehnten ähnlich gehandelt hätten. Wird das dann auch so zitiert? Oder ist das zu offensichtlich?

Und gehen Medien dann auch so mit anderen Fragen um? Etwa bei der, ob die Zurückweisungen an innereuropäischen Grenzen legal sind? Ob es einen Wärmepumpenzwang gibt? Arbeitslose faul sind? Es draußen regnet?

„Die einen sagen so, die anderen so“? Das wird nicht genügen, um das kommende autoritäre Albtraumland zu beschreiben, geschweige denn es zu verhindern.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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13 Kommentare

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  • Danke, Herr Kretschmar. Volle Zustimmung!

  • Die meist selbsternante "Faktenfinder" haben gleich mehrere Probleme.

    1.) Wirklich viele "Fakten" sind nicht wirklich "gesicherte unbestrittene Fakten" sonder die von "Faktenfindern" herangezogene "Expertenmeinung".

    2.) Und der Begriff "Experte" sugestiert mehr als oft die Realität hergibt.



    Denn "Experte" ist kein juristisch bestimmter Begriff, jeder kann sich "Experte" nennen oder darf "Experte" genannt werden.

    3.) Echte Qualifikation sollte durch z.B. durch formale Qualifikation benannt werden.



    Z.B bei Fragen zum Arabischen Raum und Dr. Michael Lüders, "promovierter Islamwissenschaftler" "Politik- und Wirtschaftsberater " usw

    Wenn ich in "unseren Medien" die "Experten" höhere und es Fragen betrifft die ich als Dipl.-Ing. Elektrotechnik fachlich gut beurteilen kann dann erschauert es mich regelmäßig.

    Markus Reisner (Offizier) usw. kommen ständige mit der "Geschichte" dass Russland keine Halbleiter habe und deswegen Waschmaschienen auschlachte um Panzer zu reparieten.

    Das ist Unsinn -- in Wirklichkeit kann man mit Teilen ein Bosch-Waschmaschine nicht einmal eine von Samsung reparieren.

    Die Teilevielfalt ist so groß das man nicht auf ausreichend ähnliche Teile trifft.

  • Endlich. Ich könnte nicht dankbarer sein für diesen Artikel, denn dieser "die einen sagen so, die anderen so"-"Journalismus" wurmt mich schon seit langem, unter einem "missverstandenen Banner der Objektivität" der sich eingeschlichen hat. Statt zu recherchieren, „was ist“, werden eben of nur noch beide Seiten wiedergegeben und meiner einer fragt sich jedes Mal: Was sind denn die Fakten? Und wieso muss ich die als Leser selbst herausfinden? Gerade bei Konflikten finde ich diese Art der Berichterstattung fatal, wenn einfach nur Aussagen einer Konfliktpartei wiedergegeben werden. Ist mir egal ob eine Kriegspartei behauptet keine Kriegsverbrechen zu begehen, sich ans Völkerrecht zu halten etc. was sind die Fakten die dafür sprechen oder dagegen und ja man kann dann auch Experten dazu befragen oder sie analysieren lassen. Was ich nicht objektiv finde ist Behauptungen einer Kriegspartei regelmäßig in Artikeln den gleichen Raum zu geben wie Fakten/ Recherchen.



    Wie ein britischer Journalist immer wieder sagt: "wenn jemand sagt es regnet und jemand anderes sagt die Sonne scheint, dann ist es nicht deine Aufgabe als Journalist beide Seiten wiederzugeben, sondern aus dem Fenster zu schauen."

    • @Momo Bar:

      "Kriegsverbrechen" und der jetzt immer wieder strapazierte Begriff "Genozid" sind ja interpretierbare Begriffe, da sollte man die nachprüfbaren Tatsachen berichten und getrennt davon die Einordnung von Experten, die ja durchaus subjektiv sein können.

    • @Momo Bar:

      Gerade bei Konflikten haben Sie aber das Problem, dass niemand so genau weiß, was die Fakten sind und das auch nicht ehrlich und objektiv recherchiert werden kann.

      Sogenannte Experten waren meist auch nicht dabei.

      Ich kann Halbwissen aushalten.

      Das ist mir lieber als unbestätigter Kram.

      Bestes Beispiel waren gerade die Schüsse bei der Essensausgabe.

      Anstehende Palästinenser sagen, auf uns wurde geschossen, es gab Tote.



      Der IDF sagt, wir haben nur Warnschüsse abgegeben.



      Die Hilfsorganisation sagt, bei uns gab es keine Toten.



      Die Vermutungen gingen sofort in Richtung IDF.



      Nach wenigen Tagen kommt dann eine Miliz ins Spiel, die wohl für die Toten verantwortlich ist.

      Die bloße Darstellung der verschiedenen Stellungnahmen am Anfang war das einzig Sinnvolle, wenn Sie mich fragen.

      Da fühlte ich mich von der taz korrekt informiert.

  • Danke für den (selbst)kritischen Artikel. Auch ich beobachte in den letzten Jahren immer mehr eine fehlende Recherche und eher eine unreflektierte Verbreitung von Meinungen anderer Personen (Politiker, "Experten", "Passanten", usw.).

  • Ganz besonders oft ist das Expertentum in den Politikmagazinen bei ARD und ZDF zu beobachten. Statt Haltung zu zeigen, werden die rechercherierten Fakten nochmals durch einen auswertigen Experten abgesichert, bzw. eingeordnetet, als ob man sich seiner Sache nicht sicher ist. Wie Kai aus der Kiste springen diese Experten!



    Der Grund? Vielleicht die Hierarchien in den Sendern, gegen die sich Journalisten mit Experten absichern müssen?

    Und sind Journalisten nicht längst schon zu Experten geworden, die für eine Richtung eine Meinung stehen? Zu beobachten in den Politiktalkshows, die Politik mit den immer wieder gleichen Protagonisten (Journalisten und Experten) simulieren, ein Karusell, dass sich im Kreise dreht.



    Was helfen würde? Journalisten, die berichten würden, wie es ist, mal einen Monat vom Bürgergeld zu leben, oder monatelang auf eine wichtige Untersuchung zu warten, oder einfach die Tatsache beschreiben, dass Inflation und Preissteigerung die Mitte der Gesellschaft schwer zu schaffen macht und das Wohnungsnot schlicht existentiell ist.

  • Wenn ich die immer größer werdende Anzahl an Kolumnen und Kommentaren sehe, bei denen weder tiefere Faktenrecherche noch hinzugezogene Expertenmeinung bemüht werden, sondern die oft die "eigenen Haltung" der Autoren repräsentieren, halte ich das Zitieren von Experten als das wesentlich kleinere Übel.



    Dass viele Medien Inhalte ungeprüft von einander abschreiben ist sicherlich schwerwiegender, hat aber wenig mit der Expertenmeinung an sich, als mit schlampiger Arbeit generell zu tun. Es werden auch permanent falsche Statistiken und vorgebliche Fakten wiedergekäut.

    • @Deep South:

      Klingt wie Kritik auch an der taz.

      • @rero:

        Auf jeden Fall auch. Klar.

  • Danke, ein wichtiger Beitrag!

  • Das ist aber einfacher. Selber recherchieren kostet Zeit und ist Arbeit.

  • Ich sehe ja beim ÖRR eher das Problem, dass dort gern Experten mit Meinungsbeiträgen ins Programm genommen werden, um nur nicht selbst direkt Position beziehen zu müssen und Neutralität vorzuspiegeln. Das erledigt dann dafür der jeweilige handverlesene "Experte".