500 Jahre Bauernkrieg: Die Freiheit im Stadtmarketing
An Aufstand denken in Memmingen derzeit so gut wie alle. Das ist Folge eines historischen Treffens im Jahre 1525, bei dem es um die Freiheit ging.

Eine erste Vorstellung davon ist beim Schlendern durch die weitläufige Altstadt zu erhaschen, die den Krieg weitgehend heil überstanden hat. Ins Auge stechen nicht nur imposante Gebäude mit patrizischem oder Reicher-Bürger-Hintergrund, sondern beispielsweise auch eine Verkörperung des Fleißes in orangefarbener Arbeitsmontur. Kniend ist der Mann damit beschäftigt, mit einem Kratzer Gras zwischen den Pflasterfugen zu entfernen. Ein Flaneur bekommt damit ein Auge für einen besonderen Wesenszug der Stadt. Straßen, Plätze, Gassen, über allen liegen hier Pflastersteine. So unterschiedlich die Steingrößen und Fugenbilder dabei sind, so chancenlos sind doch die Gräser, die Teil des Musters werden wollen.
Alles im Zeichen der zwölf Artikel
Memmingen, 46.000 Einwohner, hat sich ordentlich herausgeputzt, zumal es sich heuer das Festgewand eines besonderen Jubiläums angelegt hat. 500 Jahre ist es her, dass sich Vertreter der aufständischen Bauern im Gebäude seiner Kramerzunft berieten und – erstmals in der Geschichte – Forderungen nach grundlegenden Freiheits- und Menschenrechten formulierten, zusammengefasst in zwölf Artikeln. DEN Zwölf Artikeln. Als Wortmarke finden sie 500 Jahre nach dem Bauernkrieg mittlerweile auch auf Tassen Verbreitung wie auf Taschen. Es gibt einen „Zwölf-Artikel“-Gin und im Café Moritz einen „500 Jahre, Zwölf Artikel, 1525 Special Drink“, wie eine Tafel außen annonciert. Das klingt dann schon beinahe wie „Mein Haus, meine Yacht, mein Pferd“. Und es sind tatsächlich sogar drei Drinks damit gemeint.
Die BesonderheitBei den „Freiheits“-Ausstellungen in Memmingen ist bis in den Oktober hinein anschaulich zu erfahren, dass Menschen- und Freiheitsrechte hart und unter großen Opfern erkämpft werden mussten. Und dass eine sich auf „göttliches Recht“ berufende Herrschaft so gut wie immer Unterdrückung bedeutet.
Das Zielpublikum
Alle, die für die Verteidigung der Freiheit wichtig sind. Und auch die, die von Werten wie Menschlichkeit, Toleranz, Gleichheit noch nicht so überzeugt sind. Im Grunde also alle ab dem Kindergartenalter oder kurz davor.
Wie kommt man hin?In Memmingen stehen zwei Autobahnausfahrten zur Verfügung sowie ein ehemaliger Fliegerhorst der Bundeswehr, der heutige „Allgäu Airport“. Die Anreise per Bahn und Rad („Iller-Radweg“) ist natürlich in jedem Fall korrekter, keine Frage.
Genauso häufig stößt man auf den Namenszusatz, den die Stadt sich 2020 auf Beschluss seines Stadtrats zulegte. Seither buhlt Memmingen als „Stadt der Freiheitsrechte“ um überörtliche Aufmerksamkeit.
Memmingen wäre aber auch doof, würde es sein schwergewichtiges Alleinstellungsmerkmal nicht fürs Stadtmarketing nutzen. Die Plakatierung solch fortschrittlicher Gedanken verpasst einem beim Stadtbummel auf jeden Fall einen ganz anderen Spin, als wandelte man bloß durch eine jener „Goethe-hat-hier-übernachtet“-Städte.
Aber ist das auch zur Stadtidentität geworden oder lediglich eine Oberfläche der touristischen Ansicht der Stadt bildend? Das ist hier die Gretchenfrage.
Das durchaus in die Tiefe gehende Programm zum Jubiläum lässt auf Wahrhaftigkeit in der Positionierung schließen. Mit einem „Memminger Manifest“ hat sich die Stadt verpflichtet, für die Freiheitsrechte einzutreten. Mit einem alle drei Jahre verliehenen Freiheitspreis stellt sie sich streitbaren Persönlichkeiten. Zuletzt an den Journalisten Heribert Prantl verliehen, geht er dieses Jahr im Oktober an die Freiburger Trainerlegende Christian Streich. Chapeau, der Mann ließ nie den leisesten Zweifel, dass die Brandmauer für einen kleinen Vorteil wackeln könnte.
Mit zur Habenseite zählt auf jeden Fall die gut in Szene gesetzte Ausstellung über das „Projekt Freiheit“ im örtlichen Bonhoeffer-Haus, eingerichtet vom Haus der Bayerischen Geschichte und beim Abzielen auf alle Sinne auf Zack. Geschnitzte Chorgestühlsfiguren erwachen darin zum Leben, eigens kreierte „Düfte der Freiheit“ steigen einem in fruchtigen Noten in die Nase.
Authentischer Ort, stark lädiert
Enttäuschend hingegen Teil zwei der Ausstellung am zwar authentischen, aber stark lädierten Ort der zwölf Artikel. Das Haus der Kramerzunft entpuppt sich als weitgehend kaputt saniertes Baudenkmal. Ein Plastikhandlauf und Treppenstufen in zeittypischem Sechziger-Jahre-„Schwartenmagen“-Design führen in den denkwürdigen Versammlungssaal, von dessen originaler Substanz einzig die gotische Decke übriggeblieben ist. Aus der Not eine Tugend machend, gibt man ihr eine Sprache und lässt sie von sich und ihren Erlebnissen erzählen.
Eingespannt in den Jubiläumsreigen ist ebenfalls die Mewo-Kunsthalle beim Bahnhof, deren Angebote immer für Entdeckungen gut sind. Auch Kinder können dort stundenlang in kreative Welten ein- und abtauchen und in „Geschichten, die inspirieren“ schmökern. Sie erzählen von HeldInnen der Geschichte, von den Geschwistern Scholl über Nelson Mandela bis hin zu der Kapitänin und Aktivistin Carola Rackete.
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PS: Die AfD holte bei der jüngsten Bundestagswahl in Memmingen 22,9 Prozent. Mehr als sonst in Bayern, da lag die Partei bei 19 Prozent. Andererseits gibt es hier, in Bayern nicht gerade üblich, eine lange Tradition von SPD-Oberbürgermeistern. Und die genannten Ausstellungsorte nehmen das Freiheitsversprechen gleich ganz wörtlich: „Eintritt frei.“
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